Traum vom Fliegen 

Und wieder mir träumte, ich wäre geflogen,
und dieses mal war es doch sicherlich wahr,
denn ich hatte so leicht wie die Luft ja gewogen
und hatte die Knie an den Körper gezogen,

und es ging wie im Flug, im beherztesten Bogen
hoch über der schwergewichtigen Schar,
es war keine Täuschung, ich war nicht betrogen,
es flogen die Stunden, die Tage, das Jahr.

Mit fliegenden Hoffnungen voll gesogen,
so wach’ ich mit müderen Gliedern auf.

Zu Lande ist Leben; und angelogen,
vom leichtesten Trug an der Nase gezogen,
aus allen Himmeln zur Erde geflogen,
da lieg’ ich, da liegen die Lügen zuhauf.

Und trotzdem bleib’ ich dem Traume gewogen,
so läuft er sich leichter, der Lebenslauf.

 
Autor Karl Kraus 1920

Song: Dean Miller "Dreams"

 

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